Düstere Prognose für das Kirchspiel Schleife - stirbt sorbischer Dialekt aus?

Lausitzer Rundschau10. Dezember 2022


Acht Dörfer gehören zum Schleifer Kirchspiel. In keiner anderen Region des Landkreises Görlitz ist das Sorbische noch so präsent. Jetzt ist sogar ein eigener Sprachführer für das Schleifer Sorbisch erschienen. Doch die Zukunft scheint düster. Von Torsten Richter-Zippack

Wie kommt ein gebürtiger Potsdamer dazu, das Schleifer Sorbisch zu lernen? Und sogar ein Werk über dieses Thema mitzuverfassen?  Diese Fragen werden derzeit Simon Blum gestellt. Schließlich ist der junge Mann Mitautor eines 343-seitigen, mehr als ein Kilogramm schweren Buches namens „Slepjanski rozprajak“, zu Deutsch „Schleifer Sprachführer“. Gemeinsam mit Juliana Kaulfürst vom  Sorbischen Institut und mithilfe weiterer Protagonisten hat der studierte Linguistiker und Sorabist das Standardwerk für das Schleifer  Sorbisch geschaffen. Als Herausgeber fungieren der Verein Kólesko sowie das Sorbische Institut.

„Schuld“ daran sei sein Großvater Hanzo Mrosk aus Trebendorf. Der 89-Jährige bezeichnet sich selbst als sorbischen Muttersprachler.  „Deutsch habe ich erst in der Schule gelernt“, erklärt er. Der ehemalige Rettungswagenfahrer kennt wie kaum ein zweiter die Feinheiten des Schleifer Dialekts. Diese von Herzen kommende Verbundenheit zu Sprache und Heimat habe sich auf seinen Enkelsohn Simon Blum übertragen. „Er spricht mittlerweile perfekt Sorbisch“, lobt Hanzo Mrosk. Inzwischen lebt der Enkel selbst in Trebendorf.

Als besonders wertvoll bezeichnet die Fachfrau die Unterstützung der Sorbisch-Expertin Juliana Kaulfürst. Die Wissenschaftlerin, die ebenfalls zum Verein Kólesko gehört, übersetzte unter anderem uralte sorbische Handschriften mit Hinweisen auf Trachtenteile.

Wie viele Menschen noch das Schleifer Sorbisch können

Allerdings gibt es nicht mehr viele Menschen, die tatsächlich das Schleifer Sorbisch beherrschen. Die „Brücke zwischen dem Nieder- und dem Obersorbischen“ werde vielleicht noch von 100 Menschen benutzt, schätzt Sprachforscher Dr. Hync Rychtar. Zum Vergleich: In den acht Dörfern des Schleifer Kirchspiels leben heute insgesamt rund 4500 Menschen. Der frühere wissenschaftliche Mitarbeiter des  Institutes für Sorabistik der Universität Leipzig prognostiziert, dass dies viel zu wenige seien, um diesen Dialekt des Sorbischen auf Dauer zu erhalten. „In vielleicht zehn Jahren werden die letzten Urmutterspracher verstorben sein“ so Rychtar Dann werde es noch ein paar Enthusiasten geben, die versuchen, das Schleifer Sorbisch weiter am Leben zu erhalten. Aber letztlich werde dieser Dialekt wohl nicht überleben.

Was die Gründe für den Niedergang des Schleifer Sorbisch sind

Das zeigt auch ein Blick in die Umgebung des Kirchspiels Schleife. Der einstige Muskauer Dialekt werde längst nicht mehr gesprochen, der ehemalige Blunoer Dialekt auch kaum noch. „Da lässt sich nichts mehr machen“, resümiert Hync Rychtar, der seit Anfang Dezember nach einem halben Jahrhundert Leipzig wieder in seinem Heimatdorf Schleife lebt. Letztlich trage am langsamen Tod dieser Dialekte nicht nur die extrem geringe Anzahl der Nutzer bei, sondern auch der Umstand, dass diese Sprachformen auf dem ländlichen und  kirchlichen Leben basieren und sich nur wenig weiterentwickeln. Deshalb sei es aber umso wichtiger, dass es Leute wie Simon Blum, Juliana Kaulfürst und weitere gibt, die das Schleifer Sorbisch jetzt in ein dickes schweres Buch gepackt haben. Blum hat sich dabei um die Grammatik gekümmert. Die habe es, wie generell in den slawischen Sprachen, in sich. So gebe es beispielsweise für das Wort „wjes“, auf Deutsch „Dorf“, 17 unterschiedliche Formen. Im Deutschen seien es dagegen vier. Weitere Begriffe würden von Dorf zu Dorf verschieden ausgesprochen. „Langweilig wird es jedenfalls nie“, kommentiert Simon Blum.

Wer das fundierteste Wissen über den Schleifer Dialekt besitzt

Die Autoren konnten für ihr Projekt, das eines von zehn Arbeitspaketen des Sorbischen Institutes für das Schleifer Sorbisch darstellt,  auf eine reiche Vorarbeit zurückgreifen. Beispielsweise von Hync Rychtar. Der Wissenschaftler hatte jahrzehntelang entsprechendes Wortgut gesammelt. Nach Angaben von Sprachwissenschaftler Dr. Fabian Kaulfürst, besitzt Hync Rychtar das breiteste und fundierteste Wissen über das Schleifer Sorbisch. 

Die Idee für den jetzigen Sprachführer geht übrigens auf Hartmut Hantscho zurück. Der Schleifer hat in der Vergangenheit schon  mehrere Buchprojekte begleitet. Jetzt arbeitet er an der Schleifer Chronik, die bereits im kommenden Jahr erscheinen soll. Ebenfalls für 2023 sei der dritte Teil des Trachtenbandes mit dem Titel „Hohe Feste“ unter Regie von Hantschos Schwester Elvira Hantscho geplant.
Der Sprachführer für das Schleifer Sorbisch Das 343 Seiten umfassende Hartcover-Buch setzt sich aus vier Teilen zusammen. Zu den allgemeinen Informationen über die Schleifer Sprachlandschaft gesellt sich die Alltagskommunikation mit entsprechenden Beispielen. Darüber hinaus fehlt auch die Grammatik mit diversen Tabellen nicht. Das Buch wird abgerundet durch ein Wörterverzeichnis mit rund 2700 Einträgen. Zudem gibt es ein reichhaltiges Quellen- und Literaturverzeichnis. Der Sprachführer ist zum Preis von 20 Euro unter anderem im Sorbischen Kulturzentrum Schleife sowie in den Lodkas in Bautzen und Cottbus erhältlich.

SB slěpjańšćina – Schleifer Sorbisch DEDeutsch – němski