Die Wissens-Konservierer
Struga MagazinDezember 2020
Wie die Mitglieder des Vereines Kólesko e.V. im Wettlauf gegen die Zeit kostbare Schleifer Geschichte(n) bewahren
Die Mitglieder des Schleifer Vereins Kólesko meistern seit knapp 10 Jahren einen außergewöhnlichen Marathon. Ihre Mission gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es gilt, zügig und zugleich gründlich zu sein. Denn der Verein Kólesko e.V. konserviert ein kostbares und äußerst flüchtiges Gut: altes Wissen aus Schleifer Vergangenheit. Von Christiane Klein
„Es ist eine mühselige Arbeit“, seufzt Hartmut Hantscho und zählt auf, was ihm und den anderen Hobbyhistorikern das Leben so schwer macht: „Es gibt keine Wissensträger mehr, kaum schriftliche Dokumente und nur ganz wenige Fotos. Und die wenigen Quellen, die existieren, sind häufig so spärlich archiviert, dass oft wichtige Angaben wie Jahreszahlen, Namen von Personen oder Ortsangaben fehlen. Und die wenigen Zeitzeugen werden immer älter und erzählen immer weniger.“ Im Jahr 2011 hat er sich mit einigen anderen Schleifern zusammengetan, um der Vergangenheit auf den Grund zu gehen und das, was an Wissen über die alte Zeit noch vorhanden war, festzuhalten. So umfangreich wie möglich, so genau wie möglich und so verständlich wie möglich, damit kommende Generationen verstehen, wo ihre Wurzeln liegen, was ihre Heimat in alter Zeit geprägt hat und wer ihre Vorfahren waren. Wer Geschichte in einem so engen Rahmen wie der Verein Kólesko e.V. bewahrt, dessen Suche nach Fakten gleicht sprichwörtlich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn wie die Menschen im Kirchspiel früher gelebt und gearbeitet haben, welche Trachten sie zu welchen Anlässen trugen, ihre Lieder und Sagen, Sitten und Bräuche waren den Leuten zur damaligen Zeit so vertraut und selbstverständlich, dass es nahezu nirgendwo niedergeschrieben wurde.
Wenige Quellen
Die wenigen greifbaren Quellen, die es zur Kultur- und Entwicklungsgeschichte des Kirchspiels gibt, macht Hartmut Hantscho gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Vereins ausfindig und wertet sie aus. Gerade einmal 18 Mitglieder zählt der kleine Verein. Im Vergleich dazu wirkt die Liste der Ziele, die der Verein Kólesko e.V. auf seiner Internetseite www.kolesko.de niedergeschrieben hat, einmal mehr wie ein Mammutprojekt:
◆ Dokumentation, Publikation und Pflege der regionalen sorbischen Sprachvariante des Kirchspiels Schleife – des Schleifer Sorbisch
(Slěpjańska serbšćina, slěpjańšćina) – sowie die Erstellung von sprachkundlichen Beschreibungen
◆ Dokumentation der sorbischen Tracht des Kirchspiels Schleife und ihrer Varianten, Aufarbeitung und Herstellung, Tragen und Sichtbarmachen der Schleifer Tracht bei den verschiedensten Anlässen
◆ Pflege und Bewahrung des sorbischen Volksliedgutes und der traditionellen Musizierweise des Kirchspiels Schleife
◆ Pflege und Fortführung von sorbischen Bräuchen und Traditionen des Kirchspiels Schleife
◆ Dokumentation und Aufarbeitung der sorbischen Kulturgeschichte des Kirchspiels Schleife wie Sagen, Märchen, Sprichwörter, Erzählungen und Namenkunde
◆ Dokumentation und Aufarbeitung der historischen Entwicklungsgeschichte des Schleifer Kirchspiels in Wort und Bild
◆ Dokumentation der bildenden Kunst des Kirchspiels Schleife
◆ Bereitstellung der Ergebnisse der bereits dokumentierten Schleifer Kulturgeschichte in Form von Veröffentlichungen und Druckerzeugnissen.
Für den Vereinsvorsitzenden Herrn Hantscho ist nicht die Frage der Anzahl der Köpfe im Verein entscheidend: „Ich brauche nicht viele. Ich brauche Leute, die was machen und was können.“ Die hat er. Auch wenn seit Sommer mit dem Tod von Dieter Reddo eine ganz entscheidende Stütze des Vereins weggebrochen ist. „Dieter fehlt uns“, sagt Hartmut Hantscho mit tiefem Bedauern.
Fülle an Publikationen
In den zurückliegenden Jahren ist es dem kleinen Verein gelungen, eine beeindruckende Fülle an Wissen festzuhalten. Das beweist der umfangreiche Stapel an Publikationen, die der Verein Kólesko e.V. inzwischen herausgegeben hat: Das „Schleifer Sagenbuch – Kak Slěpjańska cerkwja swój torm krydła“ gehört ebenso dazu wie das „Schleifer Gesangbuch – Kirchenlieder, Psalmen und Gebete“, ein Notenheft für Akkordeon, die CD „Slěpe jena rjana wjeska“ und das Schleifer Liederbuch „Daj mi jeno jajko, how maš hobej dwě“.
Die Bewahrung historischen Liedgutes spielt für den Verein Kólesko e.V. eine besondere Rolle und so hat der Verein nicht nur kirchliche Lieder ins Schleifer Sorbisch übersetzt, sondern lässt diese auch regelmäßig bei kleinen Konzerten erklingen.
Zweiter Teil des Trachtenbuches
„In diesem Jahr sind leider etliche Auftritte ausgefallen. Aber wir hatten auch so reichlich zu tun“, sagt Hartmut Hantscho mit Blick auf das neueste Werk. Anfang Dezember hat der Verein sein aktuelles Buch veröffentlicht. Auf den 1. Teil des Trachtenbuches „Dźěćetko“ folgte jetzt die Fortsetzung „Gładźarnica - Die Schleifer Tracht: II. Das Kirchenjahr“. Darin stehen das Fertigen und Ankleiden der verschiedenen Kirchgangs- und Trauertrachten im Kirchspiel Schleife im Mittelpunkt. In Wort und Bild bekommen Leser einen umfassenden Einblick in die Trachten, die zu besonderen kirchlichen Anlässen wie Weihnachten, Ostern, Passionszeit und Pfingsten getragen wurden, aber auch zu einfachen Gottesdiensten, zu Trauerfeiern und vielem mehr. Unterstützung hatte der Verein Kólesko e.V. diesmal durch den „Sächsischen Mitmach-Fonds“ 2019 erhalten, wo der Verein mit seiner Idee in der Kategorie Lebendige Zweisprachigkeit – Stärkung der sorbischen Sprache und Volksidentität ein Preisgeld erhielt. Der zweite Teil der Trachtenbuchreihe wird mit Sicherheit nicht die letzte Publikation der Schleifer Geschichtsforscher sein. Derzeit arbeiten die Mitglieder in Kooperation mit dem Sorbischen Institut Cottbus an einem Sorbischen Sprachführer. Parallel sind nach Angaben des Vereins „Gładźarnica – Die Schleifer Kindertracht. Ty sy cujare šwarnje hugótowana!“, „Gładźarnica - Die Schleifer Tracht: III. Hohe Feste und Alltag“ und eine „Bilderchronik – 750 Jahre Schleife“ in Arbeit. Trotz der enormen „Fleißarbeit“, die in jedem einzelnen Projekt steckt, „macht es auch Spaß. Und wir würden es nicht machen, wenn das Interesse nicht da wäre“, betont Hartmut Hantscho.