Dieter Reddos Freude am Volkslied

lr-online02. März 2013

Erstes Schleifer Liederbuch spiegelt ursprüngliche Heimatgeschichte wider

Schleife. 260 Seiten stecken in dem festen Einband . . . und ein Berg Arbeit. Den erklommen Hartmut Hantscho, Dieter Reddo und Juliana Kaulfürst in den vergangenen Jahren. Heraus kam das "Schleifer Liederbuch". In den 160 Texten im Schleifer Sorbisch ist ein großer Schatz verborgen an kulturhistorischen Details und geschichtlichen Zeugnissen, betont Hartmut Hantscho.

Ohne die Sammelleidenschaft des inzwischen 71-jährigen Dieter Reddo - wer weiß, ob es das Liederbuch je gegeben hätte. "Es ist sein Baby", bringt es Hartmut Hantscho auf den Punkt. Über Jahrzehnte hatte dieser Lieder, die er hörte, im Schleifer Sorbisch aufgeschrieben. Der Klein Trebendorfer sagt von sich, er habe schon als Kind nicht genug davon bekommen können, wenn die ganze Verwandtschaft zusammensaß, Neuigkeiten austauschte und sang. Als Zwölfjähriger schrieb er das erste Lied auf. Sein Beruf als Fleischer war für seine Vorliebe von Vorteil. "So kam es, dass ich in der Winterzeit in vielen Wirtschaften und Gehöften des Kirchspiels Schleife unterwegs war." Damals lebten in allen Gehöften viele Frauen, die die Tracht trugen, und alle sprachen das Schleifer Wendisch. Wenn sich die Gelegenheit ergab, fragte er sie nach alten sorbischen Volksliedern. Die alten Frauen fühlten sich geehrt, weil gerade ein junger Mann so etwas wissen wollte. "Bereitwillig sangen sie mir viele Lieder vor", erklärt Dieter Reddo, und ergänzt: "Ich habe Bleistift und Zettel genommen, mir die abgehorchten Strophen aufgeschrieben und die Melodien im Kopf bewahrt."

Viele neue Lieder oder neue Strophen lernte er im Laufe der Jahre kennen, die in der Familie seiner Frau gesungen wurden. Seine Sammlung wuchs und wuchs. Eins ärgerte Reddo sehr, und da nimmt er auch im Vorwort des jetzt erschienen Buches kein Blatt vor den Mund: "Selbst ernannte Volkskünstler, professionelle Musiker und andere erfuhren, dass ich Lieder sammle. Sie kamen zu mir, holten sich den einen oder anderen Text und verschwanden wieder. Und leider kam es vor, dass sie die Lieder so veröffentlichten, als hätten sie diese selbst zusammengetragen. Darüber habe ich mich sehr geärgert und habe aufgehört, etwas herauszugeben und überhaupt weiter zu machen." Jahre passierte also gar nichts mehr.

Doch so ganz konnte sich der Klein Trebendorfer, der seit vielen Jahren im Njepila-Verein Rohne aktiv ist, nie von dem Gedanken an seine Sammlung lösen. Dass diese letztlich doch als Liederbuch veröffentlicht wurde, verdanke Dieter Reddo einem glücklichen Umstand, betont er. In Hartmut Hantscho traf er einen Seelenverwandten, der wie Reddo tief mit seiner Heimat verwurzelt ist und von sich sagt, er habe die Gene dafür wohl von seinem Vater, Alt-Bürgermeister Helmut Hantscho, in die Wiege gelegt bekommen.

"Ich hatte damals absolut keine Ahnung, auf was ich mich wirklich einließ", gesteht der 47-Jährige. Er hatte dem Liedersammler Reddo in die Hand versprochen, ihm zu helfen, dass sich dessen Traum von einem Schleifer Liederbuch verwirklicht. "2002 habe ich begonnen, die rund 70 Lieder zu sichten. Alles Texte ohne Noten. Um alles zu digitalisieren, musste ich es abschreiben", berichtet Hartmut Hantscho. Eine Heidenarbeit. Doch die würde nur Sinn haben, wenn die Texte ins Deutsche übersetzt werden und die Melodie, also Noten, bekommen.

Dieter Reddo machte sich an die Übersetzung. Viele, viele Abende - vor allem in den Wintermonaten - saßen Hantscho und Reddo fortan zusammen. Doch dass dieses Liederbuch in der vorliegenden umfangreichen Form zustande kam, sei Hantschos Bekanntschaft mit Jurij Łušćanski zu verdanken, einem "hervorragenden Kenner sorbischer Kunst und Kultur", so der Schleifer.

Von diesem erhielt er 2004 eine Liedersammlung von Adolf Černý aus dem Jahr 1888. "Damit fing die eigentliche Arbeit am Liederbuch erst an", sagt Hartmut Hantscho rückblickend. Dieter Reddos Lieder sollten nun mit Liedern ergänzt werden, die nachweislich in der Schleifer Region gesungen wurden. Hantscho stöberte nimmermüde in Bibliotheken und Archiven, unter anderem in dem des Sorbischen Institutes Bautzen, und wurde belohnt. "Immer wieder kam etwas dazu."

Die beiden Männer steckten abermals ihre Köpfe zusammen, verglichen die Texte und und und. Dabei machte Hantscho eine Erfahrung, die er auch in seinem Vorwort betont: "Die durch Dieter Reddo in mühseliger Feldforschung gesammelten Volkslieder hielten allen Vergleichen mit bereits veröffentlichten Varianten der gleichen Lieder stand. Insbesondere was die Vollständigkeit der Liedtexte und die Wiedergabe des Schleifer Sorbisch betraf. Ein Sachverhalt, der nicht hoch genug einzustufen ist."

Bis vor gut zwei Jahren war die Arbeit am Liederbuch einzig und allein die der beiden Männer. In Juliana Kaulfürst fanden sie 2010 eine junge Mitstreiterin, die sich nun mit gleicher Leidenschaft in das Projekt einbrachte. Durch ihre Ausbildung und ihre umfangreichen Kenntnisse slawischer Sprachen war die 33-Jährige die ideale Besetzung für die schwierige Arbeit des Korrekturlesens, schätzt Hartmut Hantscho ein. "Akribisch korrigierte sie die digitalisierten Texte, überarbeitete detailverliebt die teils holprigen Übersetzungen, hörte nochmals die alten Tondokumente auf fehlende Strophen und Varianten hin ab und verglich abermals die Texte und Melodien mit den vorliegenden Quellen." Das blieb nicht ohne Konsequenzen.

Woche für Woche zehn bis zwölf Stunden und mehr an Freizeit steckten sie in das Buch. Hantscho spricht von unzähligen Abenden bis tief in die Nacht. Das Fazit: Die Sammlung wuchs auf 160 Lieder an, darunter 50 Lieder, die noch nie veröffentlicht wurden.

Wenn auch Aufwand und Nutzen womöglich in keinem Verhältnis stehen, habe sich diese Arbeit wirklich gelohnt, sagt Hantscho. "Ich war immer wieder erstaunt, welche kulturhistorischen Details und geschichtlichen Zeugnisse in den Volksliedern verborgen sind."

So gut wie fertig, hatten sie noch eine grandiose Idee. Für denjenigen, der ein Lied lernen will mit richtiger Aussprache und Melodie wäre doch eine Hörprobe ganz gut, sagten sie sich. "Juliana Kaulfürst und Uwe Hermasch haben die ersten Strophen jedes Liedes im Tonstudio eingesungen. Und nun liegen dem Buch zwei CDs bei", freut sich Hartmut Hantscho. Dieter Reddo, Hartmut Hantscho und Juliana Kaulfürst wünschen sich, dass mit dem Liederbuch ein Stück ursprüngliche, heimatliche Liedfolklore einem breiten Publikum wieder zugänglich gemacht wird. Gabi Nitsche


Projekte

Schleifer Liederbuch – Slěpjański spiwnik

Das Buch beinhaltet 160 sorbische Volkslieder des Kirchspiels Schleife. Es bildet den Abschluss einer mehr als 10 Jahre währenden Forschungsarbeit die 2002 begann.

SBslěpjańšćina – Schleifer Sorbisch DE Deutsch – němski