Die Preisträger geben ihre Begeisterung weiter

Laudatio: Božena Braumanowa und Andrea Paulik21. September 2018

Laudatio der Übersetzerin Božena Braumanowa und der Museumskuratorin Andrea Paulik für die Zejler-Preisträger 2018

„In der Muskauer Heide lässt sich bisweilen ein Vogel mit schönem, bunten Gefieder, goldenem Schwanz und Flügeln sehen … Wem er sich zeigt, dem bringt er Glück.“

Verehrte Anwesende, wir haben die Ehre, die Laudatio für einen Sorben und eine Sorbin zu halten, die beide nicht nur für die Schleifer Region Gold wert sind. Das Eingangszitat entstammt der neuesten Sammlung, dem „Schleifer Sagenbuch“, an der beide mit Fleiß gearbeitet haben. Unsere heutigen Preisträger sind bekannt wie ein bunter Vogel. Sie sind voller Begeisterung für das schöne Schleifer Sorbisch. Sie bringen Glück überall, wo sie mitwirken. Auf den ersten Blick scheinen sie vielleicht ein ungewöhnliches Paar zu sein: Dieter Reddo aus Klein Trebendorf – er wurde vor 74 Jahren in der Schleifer Region geboren und ist dort Zeit Lebens verwurzelt – und die halb so alte 38jährige Juliana Kaulfürst, eine geborene Bautznerin. Sie ist in die Schleifer Region erst später „eingeflogen“ und wohnt jetzt sozusagen mit einem Bein in Schleife und mit dem anderen in Dresden. Ein gewisser Zufall hat die beiden zusammengeführt, und heute sind sie der Motor der Aktivitäten, welche die Dokumentation des Schleifer Sorbisch zum Ziel haben. Und da hier also ein zweifaches Loblied anzustimmen ist, machen wir beide es im Duett.

Einen „Botschafter der sorbischen Kultur” hat man Dieter Reddo zu Recht genannt. Als geschickter Verzierer sorbischer Ostereier hat er sich u. a. um die Dokumentation typischer regionaler Muster gekümmert. Als Kenner der Trachten und Volkstänze sorgt er im Rahmen des Schleifer Hochzeitszuges für den Erhalt dieses Teils der Volkskultur. Beruflich hatte er vorwiegend in der Braunkohleindustrie – im Havariedienst in Schwarze Pumpe – gearbeitet. Es kann jedoch als Glücksfall gelten, dass Dieter Reddo auch gelernter Fleischer ist. So hat er viele Jahre bei Leuten zu Hause Schweine geschlachtet. Und er hatte ein Gespür für das, was er hörte und erfuhr – zumeist im Schleifer Sorbisch. War dies doch für die Generation seiner Eltern damals hinter den Hoftoren die tägliche Umgangssprache. Und er notierte sich alles, was er hörte – über die bäuerliche Arbeit und die Bräuchen, die Schleifer Tracht sowie verschiedene Volksweisheiten und Sprüche. Vor allem aber: die originären Schleifer Volkslieder. Dieter Reddo hat – beginnend ca. 1954 – vielleicht bewusster als so manch anderer empfunden, dass diese Schätze der Schleifer Kultur bedroht sind. Und so hat er an die 200 Schleifer Volksweisen gesammelt, die jedoch über Jahrzehnte bei ihm zu Hause lagerten, bis ...

... Juliana Kaulfürst in die Schleifer Region kam. 2010 kam die ausgebildete Slawistin, um als Koordinatorin für Sprachprojekte des Domowina- Regionalverbandes zu arbeiten. An den beiden Schulen sorgt sie jetzt dafür, dass die Schüler die sorbische Sprache auch außerhalb der Schule anwenden und erleben, so im Klubraum „Sorbische Höhle”, in Sprachcamps oder in der Theatergruppe, für die sie selbst die Stücke schreibt. In jenem Jahr 2010 wurde sie jedoch Dieter Reddo und Hartmut Hantscho aber auch gefragt, ob sie die gesammelten Schleifer Lieder sprachlich bearbeiten würde. Die beiden Männer hatten nämlich einen Plan: ein „Schleifer Liederbuch” herauszugeben. Und sie hat „Ja” gesagt. Was nicht weiter verwundert, wenn man um ihre Musikalität weiß und dass sie selbst gern singt. Schon 2013 konnte der Verein „Kólesko”, welcher sich der Pflege des Schleifer Spracherbes widmet, das fertige Liederbuch samt einer CD der Öffentlichkeit präsentieren. Natürlich ist Juliana Kaulfürst auch Mitglied des Njepila-Vereins, der sozusagen ein Sprachnest darstellt, indem er die Schleifer Sprache auf Veranstaltungen bewusst praktiziert. Jeder Realist sieht jedoch, dass diese Sprache allmählich verloren geht. Und daher haben sich die Mitglieder des Njepila-Vereins vorgenommen, die Wörter für die Bereiche zu sammeln, mit denen sich der Verein unter seinem Motto „Wie es einmal war“ beschäftigt, damit die Sprache nicht aus dem Gedächtnis der Menschen und somit aus der Welt verschwindet. Beim Zusammenstellen dieser Wortlisten waren die Sprachkenntnisse und Aufzeichnungen von Dieter Reddo eine unverzichtbare Quelle. Und als sich Juliana Kaulfürst hinzugesellte, wurde das Unterfangen neu angefacht. Erstens dank ihrer positiven Ausstrahlung, und zweitens, weil sie sich insbesondere um die sprachwissenschaftliche Seite des Materials und um die Korrekturen gekümmert hat. Was ursprünglich als Schleifer Sprachkurs auf dem Njepila-Hof begonnen hatte, daraus ist ein kleines Wörterbuch mit dem Titel „1.000 Wörter Schleifer Sorbisch” entstanden. Und jetzt wird – nach niedersorbischem Vorbild und mit Hilfe der Niedersorben – an einem großen Deutsch-Schleifer-Wörterbuch gearbeitet.

Dieter Reddo ist der Schleifer Dialekt in die Wiege gelegt geworden. In seiner Jugendzeit bekamen jene, die sorbisch sprachen, auch abfällige Bemerkungen zu hören. Auf welche Art und Weise man sich vor solchen Beleidigungen schützt, wissen wir. Und mit den Auswirkungen für die Sprache – die auch mit dem Braunkohlebergbau in Verbindung stehen – müssen wir jetzt umgehen. Juliana Kaulfürst hat sich das Schleifer Sorbisch durch die Lieder und mit Unterstützung älterer Sorben angeeignet, nachdem sie als „Spracharbeiterin auf Montage” nach Schleife gekommen war. Sie ist heute die einzige in ihrem Alter, die fließend das Schleifer Sorbisch spricht, obwohl sie aus einer Familie mit deutschen und erschütteten sorbischen Wurzeln stammt. Doch um ein Feuer zu entfachen, dafür genügt manchmal schon ein Funken Begeisterung, den ihr ihr Vater wohl bereits mitgegeben hat, als er seinen noch kleinen Kindern das Lied „Brězowka jo rjana wjeska“ (Halbendorf – schönes Dorf) vorgesungen hat. Und Begeisterung weitergeben, das kann Juliana Kaulfürst auch auf ganz besondere Art: Indem sie nämlich mit ihrer riesigen Blechtuba den Knirpsen im Kindergarten in Rohne die ersten sorbischen Worte vermittelt – nach dem Motto „Sorbisch lernen mit Musik”.

Unsere beiden Preisträger sind also auf unterschiedlichen Wegen zum Schleifer Sorbisch gekommen, doch beide haben sich dieser Sprache mit Herz und Seele verschrieben. Sie leben die Schleifer Art in Bereichen, die sich heute dazu anbieten bzw. die sie durch ihre Sprachaktivitäten selbst mit gestalten. So gehört Dieter Reddo zu jenen Aktiven, die dem Njepila-Hof als lebendigem Dorfmittelpunkt die sorbische Seele einhauchen, denn er kann Sorbisch und spricht es auch. Juliana Kaulfürst wiederum bringt ihre Schleifer Saite dergestalt zum Klingen, dass sie in der Gesangsgruppe des Vereins „Kólesko” die Schleifer Lieder mit verbreitet. Uneigennützig zu geben und dankbar anzunehmen – das haben die Menschen der Schleifer Region im Blut. Juliana Kaulfürst hat dies auch im Rahmen eines Projektes erlebt, als sie – über fünf Jahre lang – Menschen besuchte, die den wohlklingenden Schleifer Dialekt authentisch sprechen, und sich aus deren Leben berichten ließ. Sie wählte dann Ausschnitte aus dem aufgenommenen Material aus, übertrug diese in die schriftliche Form und übersetzte sie ins Deutsche. Daraus entstand das Buch „Erzählungen aus dem Grastuch”. Auch akustisch kann man die Sprecher nun erleben – auf zwei CDs, die zum Buch gehören. Nicht nur bei diesem aufwendigen Projekt konnte sich Juliana Kaulfürst auf die Unterstützung von Dr. Hync Richter aus Leipzig verlassen. Denn er hat alle bisher erschienenen Schriften mit lektoriert, schließlich ist er in der Lage, das Schleifer Sorbisch bis zum letzten Buchstaben exakt zu verschriftlichen.

Manchmal verschlägt einem das Tempo, mit dem die Schleifer Sprachdenkmale dank der fleißigen und unermüdlichen Arbeit unserer heutigen Preisträger erscheinen, fast den Atem. Seit 2015 hat es jedes Jahr eine Neuerscheinung gegeben. In diesem Jahr im Juni war es das 250-seitige Buch mit Sagen aus dem Schleifer Kirchspiel und der Muskauer Heide, und im Juli erschien die neue CD mit Schleifer Liedern und Chorälen. Das fördert den Stolz der Schleifer Sorben auf das Eigene beträchtlich. Und lässt sogar die Hoffnung aufkeimen, dass das Schleifer Sorbisch vielleicht doch wieder belebt werden kann: Zum Beispiel auf Gesangsveranstaltungen, wenn Menschen, die noch nie einen ganzen Satz im Schleifer Dialekt gesprochen haben, sorbische Worte aus dem Mund kommen. Oder, wenn Schüler im Rahmen von Projekten vom einstigen Leben und Arbeiten auf dem Njepila-Hof erfahren und Dieter Reddo ihnen das in sorbischer Sprache beschreibt. Oder wenn Juliana Kaulfürst zu kulturellen Höhepunkten mit Moderationen im Schleifer Dialekt diese einst verpönte Sprache wieder ins öffentliche Leben trägt, natürlich in Schleifer Tracht. Oder wenn sie das Schleifer Sorbisch auf der Facebook-Seite „Slěpe lubujom” (Ich liebe Schleife) sogar als Kommunikationsmittel über Themen des heutigen Lebens verwendet. 

Auch wir aus den umliegenden sorbischen Regionen blicken mit Bewunderung und Ehrfurcht darauf, wie eine Handvoll Enthusiasten Berge zu versetzen vermag. Sie machen uns bewusst, dass es in Zeiten der Globalisierung lohnt, auch kleine kulturelle Inseln zu erhalten, wie es auch das Schleifer Kirchspiel ist. Jurij Koch hat dies – gleichfalls mit dem Bild des Vogels – in der Reminiszenz „Die Schmerzen der sterbenden Art” auf ergreifende Weise beschrieben: 

„Ich wünsche mir, dass der schöne Vogel noch im Land wäre. So, wie ich mir die Welt nur mit meiner ethnischen Art vorstellen kann ... Ihr Verschwinden würde Verlust bedeuten. Nach und nach wäre Verarmung im ganzen Land spürbar. Vielleicht sogar auf dem Kontinent, auf dem Planet. Eine Farbe weniger. Mehr Grau. Ein Klang weniger, eine Sprache weniger. Mehr Schweigen. Es ist nicht wahr, dass die Verständigung zwischen den Völkern zunehmen würde, wenn die Welt weniger Sprachen hätte ...“

Und so wünschen wir den Preisträgern und all denen, die bei der Revitalisierung des Schleifer Sorbisch mit ihnen an einem Strang ziehen, dass der Dokumentation die Phase der Aktivierung folgt, zumal auch die Sächsische Staatsregierung das Schleifer Sorbisch in ihrem Maßnahmenplan verankert hat, mit dem sie zur Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache ermutigt.
Herzlichen Dank!


Projekte

Sprachdokumentation Schleifer Sorbisch

Die eigene Sprache kann als das entscheidende Merkmal der Minderheitsidentität angesehen werden. Die Anwendung der eigenen Sprache ist Symbol der Zusammengehörigkeit von Menschen in einer Gruppe bzw. in einem Siedlungsgebiet.

SBslěpjańšćina – Schleifer Sorbisch DE Deutsch – němski