Schleifer heben sorbischen Kirchenlieder-Schatz
Lausitzer Rundschau23. Januar 2020
Neuerscheinung Zum ersten Mal erscheint ein Kirchenliederbuch auf Schleifer Sorbisch. Die Macher vom Verein Kólesko und der örtlichen Kirchgemeinde kämpfen damit gegen das Vergessen. Von Torsten Richter-Zippack
In Schleife lebte einst der Kleinbauer Johann Schimko (1847-1906). Neben seiner Landwirtschaft pflegte der Sorbe eine ganz besondere Leidenschaft. Er sammelte Liedgut in Schleifer Sorbisch und veröffentlichte im Jahr 1884 ein kleines Gesangbuch. Warum Schimko das tat, verliert sich heute im Dunkel der Geschichte, sagt Hartmut Hantscho, Vorsitzender des Schleifer Vereins Kólesko. Kólesko hat Schimkos Werk wieder ausgegraben. „Teilweise zerrissen und unvollständig“, weiß Hantscho. Möglicherweise umfasste die Broschüre 16 Seiten, vielleicht auch mehr. Im Sorbischen Institut in Bautzen sind die Schleifer Protagonisten fündig geworden. Denn selbst im heimischen Kirchspiel weiß kaum mehr jemand von der Existenz dieser seltenen Schrift. Mithilfe weiterer Quellen haben die Kólesko-Männer und Frauen 50 Kirchenlieder im Schleifer Sorbisch zusammengetragen. Hinzu kommen zwölf Gebete und Psalmen, ebenso Glaubensbekenntnisse. Herausgekommen ist ein 229-seitiges Buch. Das Werk erscheint noch in diesem Januar.
Magische Ringe Dabei handele es sich um weit mehr als nur um ein Kirchenliederbuch, sagt Hartmut Hantscho. Die Menschen in früherer Zeit glaubten, dass sie mit ihren Gesängen magische Ringe um ihre Saaten legen könnten, die Unheil fern halten. Im Vorwort des Buches heißt es, dass darüber hinaus durch das Singen geistlicher Lieder an ganz bestimmten Terminen der Missernten und Katastrophen vergangener Jahre erinnert wurde. Zudem soll der Gesang der Frauen im Totenhaus vor der Beerdigung den Aufstieg der Seele des Verstorbenen in den Himmel erleichtert haben. „Die alten Wenden in unserem Kirchspiel sangen gern, oft und dann meistens laut“, weiß Hartmut Hantscho. Damit konnte angeblich sogar der Orgelklang in der Schleifer Kirche übertönt werden. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden in Schleife wöchentlich sorbische Gottesdienste gefeiert. Darüber hinaus sind die Lieder und Choräle in den Spinnstuben und auf den Singebänken in der Osternacht gesungen worden. „Diesen großen Liederschatz zu heben und der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war ein Hauptgrund für das neue Gesangbuch“, sagt die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Mahling, die mit der evangelischen Kirchgemeinde ebenso am Werk mitgewirkt hat. „Wir wollen die heutigen Sänger motivieren, den Liedgutschatz unserer Region, der eng mit dem christlichen Leben verbunden war, zu bewahren und natürlich zu singen“, empfiehlt die Kirchenfrau. Heute sind die Schleifer Gottesdienste dank der sorbischen Pfarrerin und Muttersprachlerin Jadwiga Mahling in aller Regel zweisprachig.
Nächtelang Melodien gesucht Einfach war die insgesamt zweijährige Arbeit am Schleifer Kirchenliederbuch indes keineswegs, betont Hartmut Hantscho. So lagen oftmals nur die Texte vor, aber keine Melodien. „Da haben wir nächtelang in den alten obersorbischen Gesangbüchern nach passenden Melodien gesucht. Manchmal war es wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen“, beschreibt der Kólesko-Vorsitzende die durchweg ehrenamtliche Arbeit. Hin und wieder mussten sich die Buch-Protagonisten auch mit manchem Widerstand auseinandersetzen. „Einige Leute meinten, dass die Lieder im Schleifer Sorbisch heute doch kaum noch jemand verstehe“, erinnert sich Hantscho. „Wir betreiben aber Traditionspflege. Und selbst wenn es nur noch drei oder vier Schleifer verstünden, hätten wir das Buch auch gemacht.“ Nicht zuletzt sei es wenig sinnvoll, beispielsweise den Ostergottesdienst in sorbischen Trachten feiern, aber auf Deutsch singen zu wollen. Das neue Schleifer Gesangbuch mit dem Titel „Něnter comy Boga chwalić“ wird an diesem Sonnabend, 25. Januar, ab 16 Uhr in der Schleifer Kirche präsentiert. Für die passenden Klänge sorgt die sorbische Gesangsgruppe von Kólesko.
Projekte
Schleifer Gesangbuch - Kirchenlieder, Psalmen und Gebete
Durch die Aufarbeitung historischer Quellen einerseits und der Textübersetzungen von ober- und niedersorbischen Chorälen ins Schleifer Sorbisch andererseits wurde eine Sammlung von 50 Liedern zusammengestellt und damit die Dokumentation einer fast ausgestorbenen Regionalsprache durch den Verein Kólesko fortgesetzt.
Das Ostersingen
Durch die Frauengesangsgruppe Slěpjańske kantorki wurde 1992 ein tief religiöser Brauch wieder belebt, der Mitte der 50er Jahren in unserem Kirchspiel zwar verschwand aber im Bewusstsein der wendischen Einwohner stets haften blieb.
Gesangs- und Musikgruppe
Anknüpfend an die Herausgabe des Schleifer Liederbuches wurde im Jahr 2012 eine Vokalgruppe ins Leben gerufen, mit dem Ziel die gesammelten Schleifer Volkslieder in ihrer ursprünglichen Art und in ansprechender künstlerischer Qualität einem breiten Publikum darzubieten. Bald kamen Musiker hinzu, um die Sänger zu begleiten.