Aktuell/Termine
Die Wissens-Konservierer
Struga MagazinDezember 2020
Wie die Mitglieder des Vereines Kólesko e.V. im Wettlauf gegen die Zeit kostbare Schleifer Geschichte(n) bewahren
Die Mitglieder des Schleifer Vereins Kólesko meistern seit knapp 10 Jahren einen außergewöhnlichen Marathon. Ihre Mission gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es gilt, zügig und zugleich gründlich zu sein. Denn der Verein Kólesko e.V. konserviert ein kostbares und äußerst flüchtiges Gut: altes Wissen aus Schleifer Vergangenheit. Von Christiane Klein
„Es ist eine mühselige Arbeit“, seufzt Hartmut Hantscho und zählt auf, was ihm und den anderen Hobbyhistorikern das Leben so schwer macht: „Es gibt keine Wissensträger mehr, kaum schriftliche Dokumente und nur ganz wenige Fotos. Und die wenigen Quellen, die existieren, sind häufig so spärlich archiviert, dass oft wichtige Angaben wie Jahreszahlen, Namen von Personen oder Ortsangaben fehlen. Und die wenigen Zeitzeugen werden immer älter und erzählen immer weniger.“ Im Jahr 2011 hat er sich mit einigen anderen Schleifern zusammengetan, um der Vergangenheit auf den Grund zu gehen und das, was an Wissen über die alte Zeit noch vorhanden war, festzuhalten. So umfangreich wie möglich, so genau wie möglich und so verständlich wie möglich, damit kommende Generationen verstehen, wo ihre Wurzeln liegen, was ihre Heimat in alter Zeit geprägt hat und wer ihre Vorfahren waren. Wer Geschichte in einem so engen Rahmen wie der Verein Kólesko e.V. bewahrt, dessen Suche nach Fakten gleicht sprichwörtlich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn wie die Menschen im Kirchspiel früher gelebt und gearbeitet haben, welche Trachten sie zu welchen Anlässen trugen, ihre Lieder und Sagen, Sitten und Bräuche waren den Leuten zur damaligen Zeit so vertraut und selbstverständlich, dass es nahezu nirgendwo niedergeschrieben wurde.
Wenige Quellen
Die wenigen greifbaren Quellen, die es zur Kultur- und Entwicklungsgeschichte des Kirchspiels gibt, macht Hartmut Hantscho gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Vereins ausfindig und wertet sie aus. Gerade einmal 18 Mitglieder zählt der kleine Verein. Im Vergleich dazu wirkt die Liste der Ziele, die der Verein Kólesko e.V. auf seiner Internetseite www.kolesko.de niedergeschrieben hat, einmal mehr wie ein Mammutprojekt:
◆ Dokumentation, Publikation und Pflege der regionalen sorbischen Sprachvariante des Kirchspiels Schleife – des Schleifer Sorbisch
(Slěpjańska serbšćina, slěpjańšćina) – sowie die Erstellung von sprachkundlichen Beschreibungen
◆ Dokumentation der sorbischen Tracht des Kirchspiels Schleife und ihrer Varianten, Aufarbeitung und Herstellung, Tragen und Sichtbarmachen der Schleifer Tracht bei den verschiedensten Anlässen
◆ Pflege und Bewahrung des sorbischen Volksliedgutes und der traditionellen Musizierweise des Kirchspiels Schleife
◆ Pflege und Fortführung von sorbischen Bräuchen und Traditionen des Kirchspiels Schleife
◆ Dokumentation und Aufarbeitung der sorbischen Kulturgeschichte des Kirchspiels Schleife wie Sagen, Märchen, Sprichwörter, Erzählungen und Namenkunde
◆ Dokumentation und Aufarbeitung der historischen Entwicklungsgeschichte des Schleifer Kirchspiels in Wort und Bild
◆ Dokumentation der bildenden Kunst des Kirchspiels Schleife
◆ Bereitstellung der Ergebnisse der bereits dokumentierten Schleifer Kulturgeschichte in Form von Veröffentlichungen und Druckerzeugnissen.
Für den Vereinsvorsitzenden Herrn Hantscho ist nicht die Frage der Anzahl der Köpfe im Verein entscheidend: „Ich brauche nicht viele. Ich brauche Leute, die was machen und was können.“ Die hat er. Auch wenn seit Sommer mit dem Tod von Dieter Reddo eine ganz entscheidende Stütze des Vereins weggebrochen ist. „Dieter fehlt uns“, sagt Hartmut Hantscho mit tiefem Bedauern.
Fülle an Publikationen
In den zurückliegenden Jahren ist es dem kleinen Verein gelungen, eine beeindruckende Fülle an Wissen festzuhalten. Das beweist der umfangreiche Stapel an Publikationen, die der Verein Kólesko e.V. inzwischen herausgegeben hat: Das „Schleifer Sagenbuch – Kak Slěpjańska cerkwja swój torm krydła“ gehört ebenso dazu wie das „Schleifer Gesangbuch – Kirchenlieder, Psalmen und Gebete“, ein Notenheft für Akkordeon, die CD „Slěpe jena rjana wjeska“ und das Schleifer Liederbuch „Daj mi jeno jajko, how maš hobej dwě“.
Die Bewahrung historischen Liedgutes spielt für den Verein Kólesko e.V. eine besondere Rolle und so hat der Verein nicht nur kirchliche Lieder ins Schleifer Sorbisch übersetzt, sondern lässt diese auch regelmäßig bei kleinen Konzerten erklingen.
Zweiter Teil des Trachtenbuches
„In diesem Jahr sind leider etliche Auftritte ausgefallen. Aber wir hatten auch so reichlich zu tun“, sagt Hartmut Hantscho mit Blick auf das neueste Werk. Anfang Dezember hat der Verein sein aktuelles Buch veröffentlicht. Auf den 1. Teil des Trachtenbuches „Dźěćetko“ folgte jetzt die Fortsetzung „Gładźarnica - Die Schleifer Tracht: II. Das Kirchenjahr“. Darin stehen das Fertigen und Ankleiden der verschiedenen Kirchgangs- und Trauertrachten im Kirchspiel Schleife im Mittelpunkt. In Wort und Bild bekommen Leser einen umfassenden Einblick in die Trachten, die zu besonderen kirchlichen Anlässen wie Weihnachten, Ostern, Passionszeit und Pfingsten getragen wurden, aber auch zu einfachen Gottesdiensten, zu Trauerfeiern und vielem mehr. Unterstützung hatte der Verein Kólesko e.V. diesmal durch den „Sächsischen Mitmach-Fonds“ 2019 erhalten, wo der Verein mit seiner Idee in der Kategorie Lebendige Zweisprachigkeit – Stärkung der sorbischen Sprache und Volksidentität ein Preisgeld erhielt. Der zweite Teil der Trachtenbuchreihe wird mit Sicherheit nicht die letzte Publikation der Schleifer Geschichtsforscher sein. Derzeit arbeiten die Mitglieder in Kooperation mit dem Sorbischen Institut Cottbus an einem Sorbischen Sprachführer. Parallel sind nach Angaben des Vereins „Gładźarnica – Die Schleifer Kindertracht. Ty sy cujare šwarnje hugótowana!“, „Gładźarnica - Die Schleifer Tracht: III. Hohe Feste und Alltag“ und eine „Bilderchronik – 750 Jahre Schleife“ in Arbeit. Trotz der enormen „Fleißarbeit“, die in jedem einzelnen Projekt steckt, „macht es auch Spaß. Und wir würden es nicht machen, wenn das Interesse nicht da wäre“, betont Hartmut Hantscho.
Ostersingen in Schleife am 12.04.2020
Pomhaj BóhMai 2020
In gewohnter Tradition versammelten sich am Ostersonntagmorgen beim Sonnenaufgang Sängerinnen auf den Bänken an der Gemeindekirche zum Ostersingen. Unter den sieben Sängerinnen in der sorbischen Tracht befand sich in diesem Jahr erstmals auch die Gemeindepfarrerin Jadwiga Mahling. Eine weitere Neuheit in diesem Jahr war, dass die Sängerinnen nicht wie bisher das sorbische Kirchengesangbuch verwendeten, sondern das neue Schleifer Liederbuch „Něnter comy Boga chwalić“, das der Schleifer Kólesko-Verein Anfang dieses Jahres herausgegeben hat. T.M.
Sorbisches Gesangbuch für das Schleifer Kirchspiel wurde präsentiert
Pomhaj BóhMärz 2020
Das Kirchspiel Schleife hat seit diesem Jahr sein eigenes Gesangbuch mit Chorälen im Schleifer Sorbisch. Unter dem Titel „Něnter comy Boga chwalić“ wurde es in mehrjähriger Arbeit von den Mitgliedern des Kólesko-Vereins zusammengestellt. Darüber haben Juliana Kaulfürst und der Vereinsvorsitzende Hartmut Hantšo bereits in einem Interview in der PB-Januarausgabe berichtet.
Die öffentliche Buchpräsentation fand am Samstagnachmittag, dem 25. Januar, in der Schleifer Kirche mit einer zweisprachigen Veranstaltung statt, zu der Juliana Kaulfürstowa rund 50 Interessenten begrüßen konnte. Aufgeteilt in mehrere thematische Bereiche interpretierte die Gesangsgruppe des Kólesko unter der Leitung von Gerald Schön Choräle für verschiedene Abschnitte und Anlässe des Kirchenjahres. Die Gemeindepfarrerin Jadwiga Mahling wies in ihrer Laudatio auf die religiösen sorbischen Traditionen des Schleifer Kirchspiels hin und würdigte das neue Liederbuch als einen Beitrag zur Stärkung der hiesigen christlichen und sorbischen Wurzeln. Nicht nur für die Veranstaltungen der Kirchengemeinde, sondern auch für die Weiterführung des Ostersingens bietet das Buch eine gute Grundlage. Mit Worten der Anerkennung, Blumen und einer Süßigkeit als Geschenk dankte die Pfarrerin für die geleistete Arbeit.
Der sorbische Superintendent Jan Mahling verwies in seinem Grußwort auf die alte Tradition bei den Sorben, dass außer den drei großen Kirchengesangbüchern – dem evangelischen ober- und niedersorbischen sowie dem katholischen – immer wieder auch besondere lokale Gesangbücher herausgegeben und verwendet wurden. In diese Tradition reiht sich jetzt auch das neue Schleifer Liederbuch ein. Zu der Neuerscheinung gratulierte auch der Superintendent Dr. Thomas Koppehl aus Niesky. Er sei stolz darauf, dass er in seinem Kirchenkreis jetzt eine Kirchgemeinde mit einem eigenen Gesangbuch hat und er betonte, dass die sorbische Kultur ein großer Reichtum für die evangelische Kirche sei. Beide Redner dankten allen, die an der Neuerscheinung beteiligt waren und wünschten dem Buch, dass es oft verwendet wird.
Die würdige Veranstaltung endete mit dem gemeinsam gesungenen bekannten Choral „Wjel´ki Bóžo, chwalbu ći“. Viele haben sich das Buch gleich dort gekauft. Der weitere Austausch wurde im Pfarrgemeinderaum auf dem Pfarrhof fortgesetzt, wo alle zu einem Imbiss und zur Unterhaltung eingeladen waren.
Trudla Mahling
Gott loben und preisen in Schleifer Sorbisch
Sächsische Zeitung29. Januar 2020
Der Verein Kólesko gibt nach jahrelanger Arbeit ein Gesangbuch mit Kirchenliedern,
Psalmen und Gebeten heraus. Von Andreas Kirschke
Endlich liegt es vor. Das Gesangbuche „Něnter comy Boga chwalić“ (Jetzt wollen wir Gott loben) ist das Ergebnis unzähliger Mühen und Fleißarbeit. „Seit 2014 waren wir mit Übersetzen befasst“, schildert Hartmut Hantscho, Vorsitzender des Vereins Kólesko. Jetzt liegt das Schleifer Gesangbuch vor.
Mit dem Advent fängt das Kirchenjahr an. Treffend begrüßte die Gesangsgruppe des Vereins Kólesko (Spinnrad) die Gemeinde bei der Vorstellung des Buches vor Besuchern aus der Ober- und Niederlausitz. „Kak powitam ja tebjo, mój Jezu nejlubšy?“ (Wie soll ich dich empfangen, liebster Jesus?), singen in Schleifer Sorbisch Juliana Kaulfürstowa, Anke Fischer, Elvira Hantscho, Carolin Markowski, Uwe Hermasch und Gerald Schön kraftvoll und mit ganzer Seele in der Kirche. Es folgen Lieder zu Weihnachten, zu den Heiligen Drei Königen, zur Passionszeit, zu Ostern, zu Pfingsten und zu Trinitatis. Schließlich singen sie Lieder zum Danken und Preisen sowie zum Ende des Kirchenjahres.
Es geht um viel mehr als Lieder
Vielseitig kann die Gemeinde das Buch nun nutzen. „Und das zu Andachten. In zweisprachigen Gottesdiensten. Zu unseren sorbischen Gemeindenachmittagen. Und zum Ostersingen in Schleife und in Rohne. Vielleicht eines Tages auch in den anderen Orten des Kirchspiels“, hofft Jadwiga Malinkowa, seit 2014 Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Schleife. „Das Gesangbuch bedeutet Stärkung der Wurzeln und der Identität. Zugleich kann mit ihm die Tradition des Ostersingens im Schleifer Kirchspiel bewahrt werden. Ein Werkzeug ist uns an die Hand gegeben.“
Es ermutigt, das Schleifer Sorbisch wiederzuentdecken, zu pflegen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Es erinnert an die drei festen Säulen im Kirchspiel. Die Land- und Forstwirtschaft, der christliche Glaube und die sorbische Sprache haben die Dörfer immer geprägt. „Aufs Engste sind diese drei Säulen verbunden mit der Region“, sagt die Pfarrerin. „Und noch zu Zeiten der Pfarrer Matthäus Handrik und Gottfried Rösler in den 1920er- und 1930er-Jahren lernten die Konfirmanden in Psalmen, in Gebeten und im Chor diese Lieder. Auch im Alltag wurde viel gesungen: bei der Arbeit, auf den Singebänken, in der Spinnstube oder zur Weihnachtszeit.“ Im Hochsommer zogen die Mädchen singend in die Felder. Sie baten in der anhaltenden Trockenheit um Regen. Auch daran erinnert das 232-seitige Schleifer Gesangbuch. Es enthält Kirchenlieder, Psalmen und Gebete in Schleifer Sorbisch, ebenso eine kleine Lesehilfe und sprachliche Hinweise.
Die Finanzierung gelang mit Mitteln des Sorben- und Wenden-Beirates der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBBO), der Stiftung „Zuhause in Schleife, Rohne, Mulkwitz“ und der Evangelischen Kirchengemeinde Schleife.
Grundlage für das Schleifer Gesangbuch bildete die von 1884 stammende Sammlung „Stare lube kěrluški Slěpjańskeje Wosady“ (Alte liebe Kirchengesänge der Schleifer Kirchgemeinde) des Schleifer Kleinbauern Hanzo Šymko (Johann Schimko). Hinzu kamen Archiv-Aufnahmen aus den 1950er Jahren, welche die Art und Weise dieses Gesangs dokumentieren. Eine weitere wertvolle Quelle war ein Brief des Schleifer Sägewerks-Besitzers und Schriftstellers Jakub Lorenc-Zalěskis von 1925. Darin nennt er neun typische Schleifer sorbische Osterlieder.
Nach Auswahl der Gesangslieder sorgte Juliana Kaulfürstowa für die Übersetzungen. Dr. Hync Rychtaŕ übersetzte ebenfalls und korrigierte sorgfältig. Dieter Reddo aus Trebendorf beriet bei dem Projekt immer wieder. Gerald Schön sorgte für die umfangreichen Notierungen der Liedtexte und für die Digitalisierung der Melodien. Jörg Tausch illustrierte das Buch. Für Gestaltung, Satz und Reproduktion sorgte Mirko Markowski. „Ihnen und allen Unterstützern des Projekts gilt herzlicher Dank“, sagt Pfarrerin Jadwiga Malinkowa.
Die Schleifer Liebe zum Gesang
Verwurzelt ist das Gesangbuch im Schleifer Kirchspiel. „Es hat hier seine Gültigkeit. Es zeigt das Leben hier“, unterstreicht Jan Malink, sorbischer evangelischer Superintendent. Das Gesangbuch ergänzt bestehende Quellen wie das Niedersorbische Gesangbuch (von 1574), das Obersorbische Evangelische Gesangbuch (von 1710, neu 2010) und das Katholische Sorbische Gebet- und Gesangbuch Wosadnik (1889, neu 2008). Texte, Noten, Satz, Gestaltung, Illustration und Organisierung der Finanzen erforderten viel Hingabe, verdeutlicht Jan Malink. Doch: „Die Freude, die man hat, ist die Vollendung des Werkes.“
Warum singen gerade die Sorben so gern? Warum hat gerade hier das Singen einen ganz hohen Stellenwert? „Es ist ihre bekannte Glaubenstreue. Es ist ihre Liebe zum Gesang“, zitiert Dr. Thomas Koppehl, seit 2007 Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz, den englischen Sprachwissenschaftler Dr. Gerald Stone.
Das Schleifer Gesangbuch, so unterstreicht der Superintendent, enthält Lieder, die zu Herzen gehen. „Es liegt ein reicher Segen darauf“, bekräftigt er und ergänzt: „Der Heilige Geist ist es, der die Herzen bewegt, um Gottes Wort im Schleifer Sorbisch zu verkünden.“ Als Ansporn, Impuls und Motivation sieht Dr. Hartmut Leipner, Vorsitzender des Vereins zur Förderung der wendischen Sprache in der Kirche, das Schleifer Gesangbuch. „Auch wir wollen unser Niedersorbisches Evangelisches Kirchengesangbuch wieder neu herausgeben“, erläutert er. „Die Erstausgabe von 2007 ist vergriffen. Wir wollen das Gesangbuch modernisieren und die Liturgie erweitern.“ Gern ist er zur Vorstellung des Schleifer Gesangbuches gekommen. Er sieht das Buch als Bereicherung des kirchlichen Lebens und des Liedgutes der Sorben. „Zur Zukunftsfähigkeit eines Volkes gehört die Traditionspflege“, meint er. „Das Schleifer Gesangbuch trägt dazu bei.“
Schleifer heben sorbischen Kirchenlieder-Schatz
Lausitzer Rundschau23. Januar 2020
Neuerscheinung Zum ersten Mal erscheint ein Kirchenliederbuch auf Schleifer Sorbisch. Die Macher vom Verein Kólesko und der örtlichen Kirchgemeinde kämpfen damit gegen das Vergessen. Von Torsten Richter-Zippack
In Schleife lebte einst der Kleinbauer Johann Schimko (1847-1906). Neben seiner Landwirtschaft pflegte der Sorbe eine ganz besondere Leidenschaft. Er sammelte Liedgut in Schleifer Sorbisch und veröffentlichte im Jahr 1884 ein kleines Gesangbuch. Warum Schimko das tat, verliert sich heute im Dunkel der Geschichte, sagt Hartmut Hantscho, Vorsitzender des Schleifer Vereins Kólesko. Kólesko hat Schimkos Werk wieder ausgegraben. „Teilweise zerrissen und unvollständig“, weiß Hantscho. Möglicherweise umfasste die Broschüre 16 Seiten, vielleicht auch mehr. Im Sorbischen Institut in Bautzen sind die Schleifer Protagonisten fündig geworden. Denn selbst im heimischen Kirchspiel weiß kaum mehr jemand von der Existenz dieser seltenen Schrift. Mithilfe weiterer Quellen haben die Kólesko-Männer und Frauen 50 Kirchenlieder im Schleifer Sorbisch zusammengetragen. Hinzu kommen zwölf Gebete und Psalmen, ebenso Glaubensbekenntnisse. Herausgekommen ist ein 229-seitiges Buch. Das Werk erscheint noch in diesem Januar.
Magische Ringe Dabei handele es sich um weit mehr als nur um ein Kirchenliederbuch, sagt Hartmut Hantscho. Die Menschen in früherer Zeit glaubten, dass sie mit ihren Gesängen magische Ringe um ihre Saaten legen könnten, die Unheil fern halten. Im Vorwort des Buches heißt es, dass darüber hinaus durch das Singen geistlicher Lieder an ganz bestimmten Terminen der Missernten und Katastrophen vergangener Jahre erinnert wurde. Zudem soll der Gesang der Frauen im Totenhaus vor der Beerdigung den Aufstieg der Seele des Verstorbenen in den Himmel erleichtert haben. „Die alten Wenden in unserem Kirchspiel sangen gern, oft und dann meistens laut“, weiß Hartmut Hantscho. Damit konnte angeblich sogar der Orgelklang in der Schleifer Kirche übertönt werden. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden in Schleife wöchentlich sorbische Gottesdienste gefeiert. Darüber hinaus sind die Lieder und Choräle in den Spinnstuben und auf den Singebänken in der Osternacht gesungen worden. „Diesen großen Liederschatz zu heben und der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war ein Hauptgrund für das neue Gesangbuch“, sagt die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Mahling, die mit der evangelischen Kirchgemeinde ebenso am Werk mitgewirkt hat. „Wir wollen die heutigen Sänger motivieren, den Liedgutschatz unserer Region, der eng mit dem christlichen Leben verbunden war, zu bewahren und natürlich zu singen“, empfiehlt die Kirchenfrau. Heute sind die Schleifer Gottesdienste dank der sorbischen Pfarrerin und Muttersprachlerin Jadwiga Mahling in aller Regel zweisprachig.
Nächtelang Melodien gesucht Einfach war die insgesamt zweijährige Arbeit am Schleifer Kirchenliederbuch indes keineswegs, betont Hartmut Hantscho. So lagen oftmals nur die Texte vor, aber keine Melodien. „Da haben wir nächtelang in den alten obersorbischen Gesangbüchern nach passenden Melodien gesucht. Manchmal war es wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen“, beschreibt der Kólesko-Vorsitzende die durchweg ehrenamtliche Arbeit. Hin und wieder mussten sich die Buch-Protagonisten auch mit manchem Widerstand auseinandersetzen. „Einige Leute meinten, dass die Lieder im Schleifer Sorbisch heute doch kaum noch jemand verstehe“, erinnert sich Hantscho. „Wir betreiben aber Traditionspflege. Und selbst wenn es nur noch drei oder vier Schleifer verstünden, hätten wir das Buch auch gemacht.“ Nicht zuletzt sei es wenig sinnvoll, beispielsweise den Ostergottesdienst in sorbischen Trachten feiern, aber auf Deutsch singen zu wollen. Das neue Schleifer Gesangbuch mit dem Titel „Něnter comy Boga chwalić“ wird an diesem Sonnabend, 25. Januar, ab 16 Uhr in der Schleifer Kirche präsentiert. Für die passenden Klänge sorgt die sorbische Gesangsgruppe von Kólesko.
Neues Gesangbuch mit Chorälen im Schleifer Sorbisch
Pomhaj BóhJanuar 2020
Gespräch mit Juliana Kaulfüst und Hartmut Hančo vom Schleifer Kólesko-Verein
“Něnter comy Boga chwalić – Slěpjańske spiwarske knigły” – so heißt der Titel des Kirchengesangbuchs im Schleifer Sorbisch, das der Kólesko-Verein jetzt in Schleife herausgibt. Was kann der Nutzer darin finden?
JK: Das neue Schleifer Gesangbuch enthält 50 Choräle sowie Gebete und Psalmen, die für das Schleifer Kirchspiel von der Tradition her immer wichtig waren. Zugleich hatten wir die Kirchgemeindenachmittage und die Feste im Blick, bei denen mit Freude gemeinsam gesungen wird, und deshalb haben wir einige Volkslieder mit einbezogen, die im Schleifer Liederbuch “Daj mi jeno jajko” noch nicht veröffentlicht sind.
Außerdem findet der Leser ein Vorwort, in dem die Bedeutung des Kirchengesangs in Schleife kurz beschrieben wird. Das ist aber nur ein erster Eindruck, sozusagen ein Vorgeschmack auf die Thematik. Zum Jahresende 2020 erscheint der 2.Teil des “Trachtenbuches”, und darin werden alle Varianten der Kirchgangstracht und die dazugehörigen Kirchentraditionen gesondert dargestellt. Das neue Gesangbuch ist illustriert, die Zeichnungen sind von dem Rohner Künstler Jörg Tausch. Wir möchten aber auch auf die kleine Aussprachehilfe für das Schleifer Sorbisch und einige Erklärungen zu dieser Mundeart am Ende des Buches hinweisen.
Das Gesangbuch ist in Kapitel gegliedert, die sich am Ablauf des Kirchenjahres orientieren. Welche Kapitel sind das?
HH: Die Kapitel unseres Gesangbuches sind nach den Festen bzw. Feiertagen des liturgischen Kalenders gegliedert, die heute im sorbischen Schleifer Kirchgemeindeleben den größten Anteil ausmachen, was da sind: Advent, Weihnachten, Epiphanias, die Passionszeit, Ostern, Pfingsten und Trinitatis. Weitere Lieder der zweiten Jahreshälfte haben wir in den Kapiteln “Dank und Lob” und “Abschluss des Kirchenjahres” zusammengefasst. Es folgen “Gebete und Psalmen” sowie volkstümliche Lieder unter dem Titel “Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind”.
Woher stammen die einbezogenen Choräle – aus deutschen und sorbischen Kirchengesangbüchern oder aus weiteren Quellen?
Den Kern bildet die Sammlung von Hanzo Šymko aus Schleife, die 1884 herausgegeben wurde, die vor allem Oster-, Passions und Dankeschoräle enthält. Bei weiteren Chorälen handelt es sich um Übersetzungen aus ober- und niedersorbischen sowie deutschen Gesangbüchern verschiedener Ausgaben. Außerdem liegen uns Aufnahmen von Schleifer Sängerinnen aus den vergangenen Jahrzehnten sowie Aufnahmen von Gebeten und Psalmen vor, aus denen wir ebenfalls schöpfen konnten.
Wer war an der Erstellung der Gesangbücher beteiligt und wie lange wurde daran gearbeitet?
Šymkos Choräle haben wir als Kólesko-Verein bereits 2014 bearbeitet, um einige davon in das Repertoire unserer Gesangsgruppe aufnehmen zu können. Seit dieser Zeit haben wir weitere übersetzt, durchgesehen, recherchiert; das neue Gesangbuch ist also das Ergebnis der Arbeit in den vergangenen fünf bis zehn Jahren. Denn als Verein und Musikgruppe wollten wir unsere Bemühungen für das Schleifer Sorbisch konsequent fortsetzen.
Uns hat vor allem Dr. Heinz Richter aus Leipzig zur Seite gestanden, der die Gebete und Psalmen übersetzt und die Choralübersetzungen von Juliana Kaulfürst gewissenhaft korrigiert hat. Einige der Choräle haben wir von Dieter Reddo aus seiner Privatsammlung übernommen. Ein Kirchengesangsbuch ist immer ein religiöses sowie ein Musikbuch.
Waren an der Erstellung des Schleifer Gesangbuches auch Theologen und Kirchenmusiker beteiligt?
Mit Jadwiga Mahling haben wir in Schleife eine Pfarrerin, die Sorbisch in den Gottesdiensten, bei Gemeindenachmittagen und Besuchen der Gläubigen in den Schleifer Dörfern bewusst und gern verwendet. Auch sie hatte den Wunsch, Choräle und Gebete im Schleifer Sorbisch vorliegen zu haben und sie hat uns eine Liste der Choräle aufgeschrieben, die die Grundage des Kirchenjahres bilden. Kirchenmusiker waren nicht einbezogen. Der Leiter der Gesangsgruppe des Kólesko-Vereins Gerald Schön verfügt aber über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der Kirchenmusik. Er hat den Notensatz geschrieben und die musikalische Seite des Buches gestaltet.
Seit 2007 gibt es ein neues niedersorbisches Kirchengesangbuch, in dem auch einige Lieder im Schleifer Sorbisch enthalten sind. Seit 2010 gibt es auch ein neues obersorbisches Gesangbuch. Jahrhundertelang war im Schleifer Kirchspiel das obersorbische Gesangbuch in Gebrauch. Wozu ist im Jahre 2020 ein eigenes Gesangbuch im Schleife Sorbisch notwendig?
JK: Der Bedarf ist gegeben. Auf der einen Seite für unseren Verein, um bei den Gottesdiensten und zu kirchlichen Festen im Schleifer Sorbisch singen zu können, zumal das Ziel des Kólesko-Vereins in der Pflege und Anwendung des Schleifer Sorbisch besteht. Auf der anderen Seite ist das ein Wunsch vor allem der älteren Schleifer Gläubigen. Es stimmt, dass in Schleife immer das obersorbische Gesangbuch verwendet wurde. Aber wenn man sich die alten Tonaufnahmen zum Beispiel von den Ostersängerinnen anhört, dann stößt man auf etwas sehr Interessantes: Sie haben die Choräle für ihren Bedarf ins Schleifer Sorbisch übersetzt. Das ist eine eindrucksvolle Mischung aus der obersorbischen Schriftsprache und dem Schleifer Sorbisch. Auch die Schleifer Kantorki haben in ihren Gesangsvorlagen in der Osternacht immer auch Schleifer Sprachelemente in obersorbischen Texten gehabt – neben den bekannten, rein Schleifer Chorälen. Die alten Menschen freuen sich, wenn sie zum Beispiel den 23. Psalm lesen können, den sie als Konfirmanden beim sorbischen Pfarrer im Konfirmandenunterricht in ihrem Dialekt gelernt hatten, der ihnen jetzt wieder für eine Andacht zu Hause zur Verfügung steht. Und es ist für sie wie Balsam für die Seele, wenn die sorbische Pfarrerin zu ihnen kommt und mit ihnen zusammen im Schleifer Sorbisch betet und singt.
Wird das neue Gesangbuch jetzt anstelle des bisherigen obersorbischen bei den sorbischen Gemeindenachmittagen und anderen sorbischen kirchlichen Veranstaltungen in Schleife zum Einsatz kommen?
Das hoffen wir und deshalb haben wir das Buch auch vorbereitet. Wer im Schleifer Sorbisch singen und beten möchte, der hat jetzt die Grundlage dafür vorliegen. Wir wünschen uns, dass dieses Buch bei jeder Gelegenheit zum Einsatz kommt.
Ist das neue Gesangbuch auch für Interessenten außerhalb des Schleifer Kirchspiels gedacht?
JK: Das Schleifer Gesangbuch ist nicht in erster Linie für die überregionale Nutzung gedacht, sondern es soll die Trojka aus Schleifer Kirche-Schleifer Tracht-Schleifer Sorbisch wieder zusammenbringen. Es ist ein Ergebnis unserer Vereinsarbeit explizit für den Bedarf im Schleifer Kirchspiel. Aber vielleicht finden sich Interessenten für diese Publikation zum Beispiel aus dem soziolinguistischen Bereich. Dann entspricht das ebenfalls unserem Ziel, die kleine, aber noch lebendige Mundart zu dokumentieren, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Einblicke in die tiefe Verbundenheit des Schleifer Sorbisch mit der Kirche zu vermitteln. Die Sprache und die Religion haben hier immer eine untrennbare Einheit gebildet.
Wann und wo wird das neue Gesanbuch öffentlich übergeben?
HH: Die Übergabe des Buches “Něnter comy Boga chwaliś – Slěpjańske spiwarske knigły” findet am 25. Januar 2020 um 16 Uhr in der Schleifer Kirche statt. Als Sänger des Kólesko-Vereins stellen wir Choräle aus jedem Kapitel vor, und bestimmt werden wir Gott im schönen Schleifer Sorbisch auch gemeinsam mit den Gläubigen preisen.
Herzlichen Dank Ihnen beiden für das Gespräch, Gratulation zu dem neuen Buch und weiterhin viel Kraft für alle Bemühungen um die sorbischen Traditionen des Schleifer Kirchspiels.
Die Fragen stellte Trudla Mahling.
Nach alter Tradition
Serbske Nowiny02. Dezember 2019
Nach alter Tradition hat die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Mahling gestern, am 1. Advent, auf dem zweisprachigen Gottesdienst in der Schleifer Kirche das Schleifer Christkind gesegnet. Der Verein Kólesko hat den Gottesdienst mit Liedern und Musik umrahmt. Bis zum 3. Advent wird das „dźěćetko“ jetzt in den Dörfern des Schleifer Kirchspiels unterwegs sein, um den Menschen seinen Segen zu überbringen.
Ein unterhaltsamer Tag in zwei Sprachen
lr-online30.09.2019
Spremberg. So richtig gemütlich machten es sich die Gäste im Spremberger „Schweizergarten“ zum Herbstkonzert der Domowina.
Zu diesem Konzert hatten sich die Stiftung für das Sorbische Volk sowie die Spremberger Ortsgruppe der Domowina die Gesangs- und Musikgruppe „Kólesko“ eingeladen. Die neunköpfige Folkloregruppe gründete sich 2013 und erfreut die Besucher zwölf Mal im Jahr zu besonderen Veranstaltungen mit ihren Darbietungen, die zweisprachig aufgeführt werden. Der Schleifer Verein „Kólesko“ gründete sich schon 2011. Der Verein zählt 17 Mitglieder und pflegt auf besondere Art die Schleifer Folklore und das Schleifer Sorbisch. „Kólesko“ setzt sich nicht nur für das traditionelle Schleifer Liedgut ein, sondern setzt sich mit Publikationen im Schleifer Sorbisch für den Sprach- und Kulturerhalt auseinander. Die Proben der Gruppe werden wöchentlich von Gerald Schön angeleitet.
Zum Spremberger Konzert am Sonntagnachmittag stellte Elvira Rathner die unterschiedlichen Trachten der Folkloremitglieder vor. Dabei gibt es schon viele kleine Unterschiede, die beim Ankleiden beachtet werden müssen. Juliana Kaulfürst führte mit großem Wissen zum sorbischen Liedgut durch das Programm. Die Altersspanne der Mitglieder der Gesangs- und Musikgruppe reicht von 17 bis 72. Werner Hanusch gehört zu den ältesten Mitstreitern. Auch ein Trachten-, Lieder- und Sagenbuch sowie einen Kalender brachten sie bereits heraus, die sie am Sonntag in Spremberg mit im Gepäck hatten.
Auf Herbstkonzert wurden Sprache und Trachten vorgestellt
Serbske Nowiny01.10.2019
Obwohl das milde Herbstwetter vorgestern sicherlich viele Menschen in die Natur gelockt hat, kamen in Spremberg zahlreiche Besucher zum Herbstkonzert, was keiner von ihnen bereut hat.
Spremberg (FAG/SN). In die Reihe der diesjährigen Herbstkonzerte gehörte am Sonntagnachmittag das in Spremberg. In die Gaststätte „Schweizergarten“ hatten die Stiftung für das sorbische Volk und die Domowina-Ortsgruppe als Organisatoren die Musik- und Gesangsgruppe Kólesko eingeladen. Die Besucher wurden auch von der Spremberger Spree-Nixe Cindy Ahne begrüßt, die das sogar auf Sorbisch versucht hat.
Die neunköpfige Folkloregruppe Kólesko wurde 2013 gegründet. Ihre Mitglieder sind im Alter von 17 bis 72 Jahren. Durchschnittlich 12 Mal im Jahr treten sie in verschiedensten Veranstaltungen auf. Bereits zwei Jahre zuvor wurde der gleichnamige Verein gegründet, den Hartmut Hantscho leitet. Die 17 Mitglieder widmen sich heute hauptsächlich der Schleifer Folklore und Sprache. Die Sprache ist nicht nur ein Hauptbestandteil des Programms der Folkloregruppe, auch mit den verschiedensten Publikationen versucht er sie zu bewahren. Die wöchentlichen Proben des Kulturensembles leitet Gerald Schön.
In dem Konzert in Spremberg stellte Elvira Rathner die verschiedenen Trachten der einzelnen Ensemblemitglieder vor. Dabei gibt es zahlreiche kleine Unterschiede, die von den Ankleidefrauen berücksichtigt werden müssen. Mit vielen interessanten Neuigkeiten führte Juliana Kaulfürst durch das Programm. Für die Musik- und Gesangsdarbietungen dankte das Publikum mit großem Applaus. Die Mitarbeiterin der Stiftung für das sorbische Volk Silke Polenz-Laubenstein und die Vorsitzende der Domowina-Ortsgruppe Petra Koark bedankten sich dafür mit Blumen. Nach dem Programm interessierten sich viele Besucher für das Buch über die Tracht, die Lieder und Sagen aus der Schleifer Region sowie für einen besonderen Kalender. Beides hatte der Schleifer Verein herausgegeben und bot sie den Besuchern zum Verkauf an.
Dieter Reddos Freude am Volkslied
lr-online02. März 2013
Erstes Schleifer Liederbuch spiegelt ursprüngliche Heimatgeschichte wider
Schleife. 260 Seiten stecken in dem festen Einband . . . und ein Berg Arbeit. Den erklommen Hartmut Hantscho, Dieter Reddo und Juliana Kaulfürst in den vergangenen Jahren. Heraus kam das "Schleifer Liederbuch". In den 160 Texten im Schleifer Sorbisch ist ein großer Schatz verborgen an kulturhistorischen Details und geschichtlichen Zeugnissen, betont Hartmut Hantscho.
Ohne die Sammelleidenschaft des inzwischen 71-jährigen Dieter Reddo - wer weiß, ob es das Liederbuch je gegeben hätte. "Es ist sein Baby", bringt es Hartmut Hantscho auf den Punkt. Über Jahrzehnte hatte dieser Lieder, die er hörte, im Schleifer Sorbisch aufgeschrieben. Der Klein Trebendorfer sagt von sich, er habe schon als Kind nicht genug davon bekommen können, wenn die ganze Verwandtschaft zusammensaß, Neuigkeiten austauschte und sang. Als Zwölfjähriger schrieb er das erste Lied auf. Sein Beruf als Fleischer war für seine Vorliebe von Vorteil. "So kam es, dass ich in der Winterzeit in vielen Wirtschaften und Gehöften des Kirchspiels Schleife unterwegs war." Damals lebten in allen Gehöften viele Frauen, die die Tracht trugen, und alle sprachen das Schleifer Wendisch. Wenn sich die Gelegenheit ergab, fragte er sie nach alten sorbischen Volksliedern. Die alten Frauen fühlten sich geehrt, weil gerade ein junger Mann so etwas wissen wollte. "Bereitwillig sangen sie mir viele Lieder vor", erklärt Dieter Reddo, und ergänzt: "Ich habe Bleistift und Zettel genommen, mir die abgehorchten Strophen aufgeschrieben und die Melodien im Kopf bewahrt."
Viele neue Lieder oder neue Strophen lernte er im Laufe der Jahre kennen, die in der Familie seiner Frau gesungen wurden. Seine Sammlung wuchs und wuchs. Eins ärgerte Reddo sehr, und da nimmt er auch im Vorwort des jetzt erschienen Buches kein Blatt vor den Mund: "Selbst ernannte Volkskünstler, professionelle Musiker und andere erfuhren, dass ich Lieder sammle. Sie kamen zu mir, holten sich den einen oder anderen Text und verschwanden wieder. Und leider kam es vor, dass sie die Lieder so veröffentlichten, als hätten sie diese selbst zusammengetragen. Darüber habe ich mich sehr geärgert und habe aufgehört, etwas herauszugeben und überhaupt weiter zu machen." Jahre passierte also gar nichts mehr.
Doch so ganz konnte sich der Klein Trebendorfer, der seit vielen Jahren im Njepila-Verein Rohne aktiv ist, nie von dem Gedanken an seine Sammlung lösen. Dass diese letztlich doch als Liederbuch veröffentlicht wurde, verdanke Dieter Reddo einem glücklichen Umstand, betont er. In Hartmut Hantscho traf er einen Seelenverwandten, der wie Reddo tief mit seiner Heimat verwurzelt ist und von sich sagt, er habe die Gene dafür wohl von seinem Vater, Alt-Bürgermeister Helmut Hantscho, in die Wiege gelegt bekommen.
"Ich hatte damals absolut keine Ahnung, auf was ich mich wirklich einließ", gesteht der 47-Jährige. Er hatte dem Liedersammler Reddo in die Hand versprochen, ihm zu helfen, dass sich dessen Traum von einem Schleifer Liederbuch verwirklicht. "2002 habe ich begonnen, die rund 70 Lieder zu sichten. Alles Texte ohne Noten. Um alles zu digitalisieren, musste ich es abschreiben", berichtet Hartmut Hantscho. Eine Heidenarbeit. Doch die würde nur Sinn haben, wenn die Texte ins Deutsche übersetzt werden und die Melodie, also Noten, bekommen.
Dieter Reddo machte sich an die Übersetzung. Viele, viele Abende - vor allem in den Wintermonaten - saßen Hantscho und Reddo fortan zusammen. Doch dass dieses Liederbuch in der vorliegenden umfangreichen Form zustande kam, sei Hantschos Bekanntschaft mit Jurij Łušćanski zu verdanken, einem "hervorragenden Kenner sorbischer Kunst und Kultur", so der Schleifer.
Von diesem erhielt er 2004 eine Liedersammlung von Adolf Černý aus dem Jahr 1888. "Damit fing die eigentliche Arbeit am Liederbuch erst an", sagt Hartmut Hantscho rückblickend. Dieter Reddos Lieder sollten nun mit Liedern ergänzt werden, die nachweislich in der Schleifer Region gesungen wurden. Hantscho stöberte nimmermüde in Bibliotheken und Archiven, unter anderem in dem des Sorbischen Institutes Bautzen, und wurde belohnt. "Immer wieder kam etwas dazu."
Die beiden Männer steckten abermals ihre Köpfe zusammen, verglichen die Texte und und und. Dabei machte Hantscho eine Erfahrung, die er auch in seinem Vorwort betont: "Die durch Dieter Reddo in mühseliger Feldforschung gesammelten Volkslieder hielten allen Vergleichen mit bereits veröffentlichten Varianten der gleichen Lieder stand. Insbesondere was die Vollständigkeit der Liedtexte und die Wiedergabe des Schleifer Sorbisch betraf. Ein Sachverhalt, der nicht hoch genug einzustufen ist."
Bis vor gut zwei Jahren war die Arbeit am Liederbuch einzig und allein die der beiden Männer. In Juliana Kaulfürst fanden sie 2010 eine junge Mitstreiterin, die sich nun mit gleicher Leidenschaft in das Projekt einbrachte. Durch ihre Ausbildung und ihre umfangreichen Kenntnisse slawischer Sprachen war die 33-Jährige die ideale Besetzung für die schwierige Arbeit des Korrekturlesens, schätzt Hartmut Hantscho ein. "Akribisch korrigierte sie die digitalisierten Texte, überarbeitete detailverliebt die teils holprigen Übersetzungen, hörte nochmals die alten Tondokumente auf fehlende Strophen und Varianten hin ab und verglich abermals die Texte und Melodien mit den vorliegenden Quellen." Das blieb nicht ohne Konsequenzen.
Woche für Woche zehn bis zwölf Stunden und mehr an Freizeit steckten sie in das Buch. Hantscho spricht von unzähligen Abenden bis tief in die Nacht. Das Fazit: Die Sammlung wuchs auf 160 Lieder an, darunter 50 Lieder, die noch nie veröffentlicht wurden.
Wenn auch Aufwand und Nutzen womöglich in keinem Verhältnis stehen, habe sich diese Arbeit wirklich gelohnt, sagt Hantscho. "Ich war immer wieder erstaunt, welche kulturhistorischen Details und geschichtlichen Zeugnisse in den Volksliedern verborgen sind."
So gut wie fertig, hatten sie noch eine grandiose Idee. Für denjenigen, der ein Lied lernen will mit richtiger Aussprache und Melodie wäre doch eine Hörprobe ganz gut, sagten sie sich. "Juliana Kaulfürst und Uwe Hermasch haben die ersten Strophen jedes Liedes im Tonstudio eingesungen. Und nun liegen dem Buch zwei CDs bei", freut sich Hartmut Hantscho. Dieter Reddo, Hartmut Hantscho und Juliana Kaulfürst wünschen sich, dass mit dem Liederbuch ein Stück ursprüngliche, heimatliche Liedfolklore einem breiten Publikum wieder zugänglich gemacht wird. Gabi Nitsche